„Der Menschen Lobeshymne“
"Er steigt, er schwebt empor, der menschliche Gesang, ... der Menschen Lobeshymne."
Wer am 1. November das Staatstheater besucht, kann ihn hören, diesen menschlichen Gesang. Puccinis "Tosca" steht im Programm. Der Opernchor, an dessen Sanges- und Spielfreude und meisterlicher Artikulation sich schon Generationen von Theaterbesuchern erfreuen, wirkt mit. Da steckt Kontinuität dahinter. Und Anspruch. Seit 33 Jahren leitet Christian Möbius diesen Klangkörper. Dem früheren Kruzianer kommt dabei zugute, dass er an der Musikhochschule "Carl Maria von Weber" in Dresden nicht nur das Dirigieren von Chor und Orchester, sondern u.a. auch Gesang, Pädagogik und Musikwissenschaft studiert hat. Gewiss sind hundert oder mehr Sängerinnen und Sänger seinem Dirigat und seinen Anweisungen gefolgt. So ein Chor lebt von Kontinuität und Wechsel (Ruhestand, familiäre Veränderungen u.a.). Wer die "Tosca" (auch wieder am 29. November) oder die Operettengala (3. November) besucht, schaut in ein paar neue Gesichter. Ein Gespräch mit den Newcomern führt zu interessanten Geschichten, Gedanken und Meinungen.
Eine solche Geschichte erzählt Taejong Kim. Er kommt aus Südkorea. Mit Cottbus bekannt geworden ist er aber in Norwegen. Dort wirkte der Bassist in einer "Meistersinger"-Inszenierung mit und lernte einen Kollegen, ebenfalls Bass-Sänger, kennen: Seungho Shin. Der erzählte ihm von einem sehr schönen Theater in einer mittelgroßen Stadt in Deutschland. Dort sei er in einem Opernchor engagiert, der jedem wie eine große harmonische Familie vorkomme. Taejong Kim: "Das machte mich neugierig. Und ich landete in Cottbus, gab eine Gastrolle in der Oper ‚Kral Roger', fühlte mich recht wohl und schlussendlich ... Bald hatte ich einen Vertrag in der Tasche und freute mich. Es war mein Kindheitstraum, Musik zu machen. Nicht nur Opern, auch Oratorien und alles, was den Ohren wohltut."
Dieser Wunsch wird gewiss in Erfüllung gehen: Die Oratorienkonzerte unter der Leitung von Christian Möbius, sei es im Großen Haus, in der Kreuzkirche oder im Hangar, erfreuen sich großer Beliebtheit. Zuweilen sind es sehr aussagekräftige "Wortmeldungen" wie das Benefizkonzert 2023 für Israel, das Corona-Requiem und die Bahnhofskonzerte zum Gedenken an die Zerstörung der Stadt Cottbus 1945.
Scherzhaft fügt Kim hinzu, dass es ihm besondere Freude mache, den Damen zuzuhören, wenn die beiden Chorteile auf der Bühne stehen. Wie charmant!
Mit genauso viel Charme erzählt Miko Abe, wie sie Cottbus oder besser Cottbus sie eroberte. Bevor sie in die Lausitz kam, genoss sie die praxisorientierte Ausbildung an der Chorakademie der Wiener Staatsoper. Dann suchte sie und fuhr zu drei Vorsingen, nach Darmstadt, Dessau und Cottbus. Ein warmes Lächeln gab den Ausschlag.
"Ja, ich war so nervös, und die künftigen Kollegen hatten so freundliche Gesichter für mich - warmes Lachen, was alle meine Ängste auffraß. Na, und dazu die sympathische Stadt, in der sich gut leben und arbeiten lässt. Und, wunderbar, ein Staatstheater, was braucht ein Mensch mehr?
Menschen sind ja zuweilen schon mit sehr wenigem zufrieden, zum Beispiel mit einem Gegenstand. Für die chinesische Altistin Tianjiao Huang-Igel war das ein Mikrofon, das man ihr bei einer Betriebsfeier in die Hand drückte, damit alle sie verstehen. "Ich hatte den Eindruck, dass alle auf mich zukamen, Interesse an mir hatten, meine Freundschaft suchten." Sie kam aus Saarbrücken, wo sie Gesang studiert hat, und freut sich, gleich zu Beginn so ungemein geschätzt zu werden.
"Toll, hier auf der Bühne zu stehen und mit meiner Stimme, vereint mit der meiner Kollegen, das Leben zu feiern, damit es friedlich bleibt für die Familien und die Künste. Das ist schön und wichtig." Wichtig ist es für die Sängerin im Hinblick auf ihr Töchterchen Johanna.
Solch einen Frieden wünscht sich auch und besonders Oleksandr Vashchenko, der mit Frau und Sohn aus der Ukraine kommt und natürlich um das Schicksal seiner daheimgebliebenen nahen Verwandten bangt. Er hat in Charkiw studiert und weist ein sehr gutes Opernrepertoire auf. "Aber die Titel kennt hier kaum einer", erklärt er. "Sie sind osteuropäischen Ursprungs. Für mich ist es jetzt eine Herausforderung, die deutsche Sprache und Kultur kennenzulernen und mir hiesiges Opernrepertoire anzueignen. Als Kind habe ich davon geträumt, für tausend Menschen zu singen. Mit diesem Chor und in diesem Haus kann der Traum wahr werden." Mit frohem Lachen fügt er hinzu: "Ich möchte mindestens zehn Jahre in Cottbus bleiben." Möbius würde es freuen: "Solch eine Tenorstimme wie Oleksandr findet man selten. Prima, dass er zu uns gekommen ist."
"Ich war noch nie im Osten, und ich bin beeindruckt. Ich habe das Grau von Nordrhein-Westfalen mit dem Grün und den architektonischen und landschaftlichen Schönheiten der Lausitz getauscht", bekennt Isabelle Osenau. Die Kölnerin hat längere Zeit in Rotterdam gelebt und weiß ihren Partner noch dort. "Kunst ist das Beste, womit man sich beschäftigen kann", erklärt die Altistin. "Chor ist Job, Lebensunterhalt, Annehmlichkeit. Mehr noch: Wir auf der Bühne wollen eins sein mit dem Publikum. Je mehr unser Wirken ins Herz und unter die Haut geht, desto mehr Nachdenken können wir darüber erzeugen, was uns und alle bewegt."
Das war wie ein ungeplantes Schlussplädoyer für unser Gespräch. Es war noch viel länger, als dass es hier stehen könnte. Märki hätte sich gefreut, wenn er es gehört hätte. Möbius auch, dessen Art von Kommunikation die Sängerin schätzt.
Fünf Neue im Chor. Ganz unterschiedliche Persönlichkeiten und dennoch gleich: aufgeschlossen, sympathisch und für ihre Aufgabe brennend. Der Jägerchor aus dem "Freischütz" (wieder am 22. November) hat die richtigen Worte für sie:
"Wem sprudelt der Becher des Lebens so reich?"