Das Verbindende suchen
Herr Ministerpräsident, Sie sind bekannt dafür, bei vielen Gelegenheiten mit den Menschen im Land zu sprechen. Wie ist aus Ihrer Sicht die Stimmung unter den Sachsen?
Wir spüren eine Unzufriedenheit und ein schwindendes Vertrauen in die Institutionen. Auf viele Fragen, welche die Menschen in den vergangenen Jahren bewegten, hatte die Bundesregierung keine Antworten. Themen wurden ignoriert, und am Ende gab es keine Lösungen. Beispielsweise bei der Migration oder der Energiepolitik. Das sorgt natürlich für Unzufriedenheit. Umso wichtiger ist es, dass wir deutlich zeigen, was machbar ist.
Wenn Sie auf das Jahr 2024 zurückschauen: gab es aus Ihrer Sicht auch Dinge, die gut gelaufen sind und welche sind das?
Für den Freistaat Sachsen war es ein erfolgreiches Jahr. Wir haben große Firmenansiedlungen, die uns für die nächsten Jahre und Jahrzehnte wirtschaftliche Sicherheit und jungen Leuten eine Zukunftsperspektive geben werden. Wir haben aber bereits vor einiger Zeit gesehen, dass im Bereich Pflege und der Krankenversicherung Dinge verändert werden müssen. Aus Sachsen heraus gab es auch gute Vorschläge, an denen wir jetzt dranbleiben müssen und mit einer neuen Bundesregierung hoffentlich umsetzen können.
Im Angesicht der aktuellen Herausforderungen: Haben Sie 2024 ein paar graue Haare bekommen?
Ich glaube, ich habe graue Haare bekommen, ein bisschen mehr als sonst. Aber es geht noch.
In Sachsen ist eine Zusammenarbeit mit dem BSW gescheitert, in Thüringen und Brandenburg aber nicht. Woran lag das?
Es ist müßig, jetzt zurückzuschauen. Es ist wichtig bei der Arbeit im Landtag um die besten Ideen zu ringen. Wer hat kluge Ideen, wer hat die besseren Vorschläge, danach wird entschieden. Diesen Weg gehen wir jetzt und ich bin optimistisch dies auch gelingen wird.
Viele Menschen sind mit Blick auf die Zukunft verunsichert. Was sagen Sie denen?
Wir selbst haben es in der Hand, wie es sich entwickeln wird. Wenn man zurückblickt, dann hatten wir in den vergangenen 34 Jahren teilwiese viel schwierigere Themen als die heutigen. Wir müssen uns darauf besinnen, was wir als Sachsen selbst können. Und wir müssen unsere Erwartungen gegenüber der Bundespolitik äußern. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir weniger staatliche Regulierung und mehr Eigeninitiative brauchen.
Es gibt Neuwahlen im Bund. Was erwarten Sie von der Berliner Politik nach den Wahlen?
Wir brauchen eine Politik ohne Scheuklappen. Die extreme Verteuerung von Energie belastet nicht nur die Bürger sondern sorgt auch für eine Abwanderung der Industrie aus Deutschland. Es gibt eine Diskussion um die Vier-Tage-Woche. Wir müssen der jungen Generation ehrlich sagen, dass die Vierzig-Stunden-Woche der Standard sein wird. Wir sehen bei Volkswagen, wie durch eine übertriebene Gehaltspolitik ein Unternehmen Probleme bekommt. Lasst uns dieses Land wieder ordnen, nach gesundem Menschenverstand und ökonomischen Notwendigkeiten.
Würden Sie nach den Wahlen einem Ruf nach Berlin folgen?
Nein. Ich war 15 Jahre in Berlin. Das war eine interessante Zeit. Ich bin für die Möglichkeit, hier im Freistaat Sachsen arbeiten zu können, sehr dankbar. Ich liebe dieses Land, habe ganz viel Unterstützung durch die Bevölkerung. Wir können noch viele große Dinge für unsere Heimat bewegen. Deshalb möchte ich gern hier bleiben.
Der Krieg zwischen Russland und der Ukraine beschäftigt viele Menschen. Was müsste aus Ihrer Sicht geschehen, dass es zum Frieden kommt?
Die vergangenen Jahre sind kein Ausdruck für positives Kommunikationsverhalten in Deutschland. Viele Menschen in den neuen Ländern, die der Meinung waren, dass man den Krieg nicht mit Waffen zum Stillstand bringen kann, wurden nicht gehört, wurden beiseitegeschoben. Aber diese Menschen haben Recht behalten. Wir brauchen ganz starke diplomatische Initiativen. Dazu wird man auf Länder wie China und Indien, auf Brasilien und Südafrika zugehen müssen. Wir hören jetzt auch von ukrainischer Seite von Waffenstillstand und temporärem Gebietsverzicht. Das sagen wir seit über zwei Jahren. Solange sterben bereits Menschen. Die Stärke von Europa und Deutschland als internationaler Akteur hat in dieser Zeit massiv gelitten. Es braucht jetzt eine starke Einflussnahme auf den russischen Präsidenten. Der wird den Krieg nur beenden, wenn er davon einen Nutzen hat. Das braucht Verbündete in anderen Ländern.
Das Weihnachtsfest steht bevor. Wie verbringen Sie die Feiertage?
Wir fahren nach Waltersdorf ins Zittauer Gebirge. Das ist unser Rückzugsort, die ganze Familie kommt zusammen. Darauf freuen wir uns sehr.
Gibt es im Hause Kretschmer spezielle Rituale zum Weihnachtsfest?
Ja, es gibt einen Wettbewerb, den meine Schwiegermutter und ich seit vielen Jahren austragen: wem gelingt die Weihnachtsgans am besten? Und es ist jedes Mal so, dass die Kinder sehr, sehr klug der Meinung sind, dass es die der Großmutter ist, welche besser geschmeckt hat.
Und was steht bei Familie Kretschmer auf dem Speiseplan?
Am Heiligen Abend gibt es Bratwurst, am ersten Weihnachtsfeiertag dann die Gans.
Was wünschen Sie den Sachsen für das neue Jahr?
Ich wünsche uns allen, dass es ein friedliches Jahr wird und dass wir das Gemeinsame finden. Beim Besuch des Zeitgeschichtlichen Forums in Leipzig sah ich die verschiedenen und ganz unterschiedlichen Verwendungen des Satzes »Wir sind das Volk«. Der Satz ging damals aber weiter: wir sind ein Volk. Wir sollten, auch bei unterschiedlichen Meinungen, mehr das Verbindende als das Trennende suchen. Diesen Geist wünsche ich uns im nächsten Jahr.
Der WochenKurier bedankt sich für das freundliche Gespräch.