Uwe Schieferdecker/ck

Er gab dem Stadtbild ein Gesicht: Hans Erlwein

Dresden. Wie kein Baumeister nach ihm prägte der geniale Architekt Hans Erlwein das Gesicht der Stadt im 20. Jahrhundert. Vor 120 Jahren wurde der 32-jährige Bayer als Stadtbaurat nach Dresden berufen.

Modell aus Plastilin im Foyer des Gymnasiums »Pesta«.

Modell aus Plastilin im Foyer des Gymnasiums »Pesta«.

Bild: Archiv Schieferdecker

Eingedenk des heutigen Bautempos in Dresden lässt uns eine Zahl unbändig staunen: Binnen zehn Jahren realisierte Erlwein mehr als 100 städtische Bauten. Selbst wenn darunter auch Kleinbauten wie das Pissoir in der Pfotenhauer Straße oder Haltestellenhäuschen am Ring gezählt wurden – bei der Mehrzahl handelte es sich um stattliche Gebäude. Und nein, reibungslos verlief das Bauen auch Anfang des 20. Jahrhunderts nicht. Heftig wurde über den Speicher an der Elbe oder den Neubau der Löwenapotheke am Altmarkt gerungen. Zum Neubau des Italienischen Dörfchens entspann sich gar eine deutschlandweite Debatte!

Wer war dieser Hans Erlwein? Geboren wurde der Gastwirtsohn 1872 in Bayrisch-Gmain nahe der österreichischen Grenze. Einem Studium an der Technischen Hochschule folgten erste Aufträge in München. Seine Berufung 1898 zum Bamberger Stadtbaurat mit gerade mal 26 Jahren war wohl der Fürsprache aus dem bayrischen Königshaus zu danken. Die Kontakte ins Haus Wittelsbach rührten noch aus der Militärzeit. Wenn er in Bamberg binnen sechs Jahren 60 städtische Gebäude errichtete, sollte das höchste Anerkennung verdienen. Doch dem war nicht so. Sein harsches Auftreten und das Geltungsbewusstsein verschafften ihm dort Intimfeinde, die ihn bis nach Dresden verfolgen sollten.

Am 13. Februar 1905 überreichte Oberbürgermeister Otto Beutler Erlwein die Goldene Amtskette als Stadtbaurat. Die meisten Bauten aus dieser Ära prägen das Stadtbild bis heute. Neben dem bereits erwähnten Erlwein-Speicher und dem Italienischen Dörfchen gehören das Erlwein-Gymnasium, die eben frisch sanierte Rübezahl-Schule in Cotta und das malerische Gymnasium Romain Rolland, der noch ruinöse Gasometer in Reick, der Schlachthof, die heutige Sparkassenverwaltung in der Johannstadt oder das Stadthaus an der Löbtauer Straße zu seinen Meisterwerken.

 

Hans Erlwein, ein Scharlatan?

 

Alle Pläne, die selbst Jahre nach Erlweins Tod noch das Hochbauamt verließen, trugen seine Unterschrift. Kritiker wenden nicht ganz zu Unrecht ein, Erlwein habe vermutlich in Dresden überhaupt nicht mehr selbst gezeichnet. Selbst die Unterschrift stammte von einem Stempel. Erlwein, ein Scharlatan? Mitnichten. Der Stadtbaurat hatte ein waches Auge für aktuelle Entwicklungen im Bauwesen im deutschsprachigen Raum. Diese trug er nach Dresden und es gelang ihm, sie mit außerordentlichem Engagement in kurzer Zeit in Bauten umzusetzen, die uns heute noch gefallen. Selbst wenn der Leiter des Hochbauamtes nicht mehr selbst zeichnete, drückte er sich gern im neuartigen Material »Plastilin« aus. Im Foyer des Gymnasiums »Pesta« am Riesaer Platz ist uns eines dieser Modelle überkommen. Hier, wie bei seinen zwölf anderen Schulbauten in Dresden, ist seine Liebe zum Detail zu spüren. Schulgebäude, die bis dahin oft in Kasernenform entstanden – vorne hui, hinten pfui – gefielen nun auch zum rückwärtigen Schulhof mit ihrer malerischen Gestaltung.

Trotzdem waren die Vorwürfe gegen Erlwein nicht gänzlich aus der Luft gegriffen. Bei der Bewerbung in Dresden unterschlug er seine nicht-eheliche Tochter, schmückte sich hingegen mit einem Doktortitel. Den hatte er nachweislich niemals abgelegt. An der Automobilrundfahrt im Juni 1907 beteiligte sich Hans Erlwein mit seinem geliebten weißen Opel. Es ging damals nicht um Schnelligkeit, sondern um Schönheit. Als sein glänzend geputzter Wagen nur den dritten Platz errang, legte sich der Stadtbaurat hitzig mit dem Veranstalter an. Der war kein Geringerer als der Unternehmer Karl August Lingner.

 

Bauten mit starker Persönlichkeit

 

Kurz, Hans Erlwein war eine eigene Persönlichkeit, wie es sie vielleicht heute nicht mehr geben würde. Ihn dafür zu kritisieren, verbietet sich jedoch angesichts seiner außerordentlichen baulichen Leistung. Vor 110 Jahren, am 9. Oktober 1914, starb Erlwein als Kriegsfreiwilliger bei einem Autounfall an einem Bahnübergang hinter der französischen Front. Nach den Statuten der Stadt Dresden hätte sein Leichnam überführt und in Dresden beigesetzt werden sollen. Nun, nach seinem Tod, triumphierten jedoch seine Widersacher: Erlweins sterbliche Überreste liegen bis heute im Soldatenfriedhof Noyers-Pont-Maugis.

Sein Freund zu Lebzeiten, Oberbürgermeister Otto Beutler, würdigte bei der Trauerfeier im Oktober 1914 Erlweins »Liebe zur Schönheit, die heitere Auffassung des Lebens«. Sie prägen die Bauten des Stadtbaurats in Dresden bis heute.


Meistgelesen