Birgit Branczeisz

Eine Lok auf der Straße

Radebeul. Die erste Sächsische Schmalspurlok ging huckepack von Radebeul nach Oberschmiedeberg.

Martin Kreher springt in den Führerstand seiner Lok – er dreht an Rädern, prüft Ventile – er muss das Wasser aus den Leitungen ablassen bevor es für die 1. Schmalspurbahn Sachsens huckepack auf dem Sattelschlepper auf große Fahrt geht. Das Ziel: Oberschmiedeberg. Der eiskalte Fahrtwind könnte das Wasser in den Leitungen gefrieren lassen. Das darf auf keinen Fall passieren!

Dass der 35-Jährige an diesem kalten Morgen „Am Alten Güterboden 4 “ in Radebeul so geschäftig um sein Schätzchen herumwuselt, ist nicht selbstverständlich. Am 9. September 2022 kollidierte der Traditionszug in Mügeln mit einem abbiegenden Traktorgespann, dessen Fahrer das Tempo des entgegen kommenden Zuges unterschätze. Die Lok wurde durch die Wucht herumgerissen, die ersten Wagen stauchten seitlich in die Lok – er wurde eingeklemmt. Die Ärzte bangten drei Wochen lang, ob der Unterschenkel des jungen Lokführers nicht doch abgenommen werden muss. Es ist gutgegangen und Martin Kreher geht gut und vor allem kann er auf seiner geliebten Dampflok fahren.

Seine Brötchen verdient der als normaler Lokführer bei der Bahn – auf Dampfloks ist er glücklich. Auch die Lok hat eine Weile gebraucht, um wieder heile zu werden. In Meinigen wurde sie neu aufgebaut, die Wagen in Ostritz an der polnischen Grenze. Was so schnell gesagt ist, war DAS Weihnachtswunder 2023. Im Dezember kehrten Lok und Wagen wie neu zurück nach Radebeul ins Winterquartier. Hunderte sah sich zum Tag der offenen Tür das Schätzchen an, staunten, strahlten – so wie die Männer an diesem eiskalten Morgen. Denn jetzt wird`s ernst – die königliche Dampflok – besser ein originalgetreuer Nachbau von 2009 – geht zur ersten Lastprobe mit allen Wagen auf die Strecke Oberschmiedeberg - Jöhstadt.

Zunächst ohne Fahrgäste, im Echtbetrieb werden Bremswege gemessen, Drücke kontrolliert. »Wenn alles gutgeht, sind wir bis Ostern fertig und haben wieder unsere Genehmigung«, sagt Dr. Andreas Winkler. Er ist Vorsitzender des Sächsischen Stiftungsvorstandes »Sächsische Schmalspurbahnen«. Angefangen hat für ihn alles mit einer Katastrophe. In dem Fall mit dem Hochwasser 2002. Nachdem das Wasser weg und Hotels und Geschäfte saniert waren, fehlten die Gäste, die mit der Weißeritzbahn von Freital-Hainsberg nach Kipsdorf fuhren und das Geschäft belebten.

Die Weißeritztalbahn musste wieder her! »Später haben wir überlegt, wir wollen etwas bauen, was für ganz Sachsen steht!«, erinnert er sich. So wurde die königlich-sächsische Lok IK 54 von 2006 bis 2009 aus Spenden aufgebaut. Ein Zufallsfund machte es möglich: Die Baupläne tauchten in einem Antiquariat in Essen auf. Wenn das kein historischer Fingerzeig war! Später waren es die vielen begeisterten Menschen, die drängten, man müsste doch den ganzen Zug aufbauen, alte Teile anschleppten, Zeichnungen. Eine Bürgerbewegung im besten Sinne, so Winkler.

Er würdigt den Weitblick der früheren Abgeordneten in Sachsen: Als sie 1870 beschlossen, nach der 1. Ferneisenbahn in Deutschland zwischen Dresden-Leipzig im Jahr 1839, jetzt das Land mit Schienen zu erschließen, legten sie für die Sekundärbahn eine einheitliche Spurweite von 750 Millimetern fest. So war es möglich, Fahrzeuge in Jöhstadt, Zittau, Radeburg, Radebeul oder Oberwiesental fahren zu lassen. Die Baureihe der ersten Schmalspurbahn, deshalb IK. für 1. Kleinspur, war geboren. Wie man so etwas bauen konnte, ohne Internet, mit Köpfchen und Geschick, das wollte Winkler vor allem Jüngeren zeigen.

Und die kamen. Kleine Steppkes, die ihr Taschengeld mitbrachte, Handwerker, Ingenieure und Geschäftsleute. 2009 erhielt des »Königs Zug« die Streckenzulassung. Bis 2016 sollte es dauern, bis in unendlicher Arbeit alle Wagen aufgebaut waren – so wie sie vor 140 Jahren wirklich aussahen. Ab Ostern soll er wieder durch Sachsen fahren. Wo und wann genau, das steht noch nicht fest. Aber die Radebeuler werden das Schätzchen sicher dieses Jahr wiedersehen!

www.stiftung-ssb.de

 


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