Uwe Schieferdecker

Die »Prager« im Wandel

Dresden. Wir leben in einer Zeit, in der sich alles verändert – so auch die Prager Straße. Aus dem Kaufhausbau von »Wöhrl« wird ein Hotel, hippe Läden verschwinden, der Leerstand liegt bei 19 Prozent. War das in vergangenen Zeiten anders?
Der südliche Eingang der Prager Straße mit dem Kaiser-Café.

Der südliche Eingang der Prager Straße mit dem Kaiser-Café.

Bild: Archiv Schieferdecker

Die Prager Straße gilt als relativ junge Straße. Die Stadtväter legten sie 1851 im Zusammenhang mit dem Bau des Böhmischen Bahnhofs an Stelle des heutigen Hauptbahnhofes an. Auf ihr gelangten die Bürger zu den Zügen nach Prag, was ihr auch den Namen einbrachte. Zum Bahnhof hin säumten vornehme Stadtvillen den Weg. Ganze fünf Läden wurden 1857 gezählt, darunter ein Milchladen, ein Seifensieder und ein Bettfederngeschäft. Kein Tourist oder Bürger hätte sich damals zum Shoppen auf die Prager verirrt!

25 Jahre gingen ins Land, da hatte sich das Stadtbild grundlegend gewandelt. Die Eisenbahn entwickelte sich rasch zum Massenverkehrsmittel, über die auch viele Fremde in die Stadt gelangten. In der Folge fanden sich hier vornehme Hotels und Kaffeehäuser, elegante Geschäfte oder Banken. Zur echten Touristenattraktion entwickelte sich das 1883 eröffnete Schlachtenpanorama mit einer naturalistischen Darstellung der Schlacht bei Metz im Deutsch-Französischen Krieg von 1870. 1888 glimmten die ersten elektrischen Straßenlaternen auf, 1896 nahm die »Gelbe Gesellschaft« den elektrischen Straßenbahnbetrieb zum Böhmischen Bahnhof auf.

 

Runderneuerung innerhalb von zwei Jahren

 

Die Eröffnung des Hauptbahnhofs 1898 verstärkte den Druck auf den Grundstücksmarkt. Daher beschlossen die Stadtväter im Jahr 1900 einen neuen Bebauungsplan für die Prager Straße. Wer sich heute über die vielen Veränderungen beklagt – das war damals nicht anders. Binnen zweier Jahre fielen praktisch alle Häuser an der Prager Straße der Abrissbirne zum Opfer, einschließlich des beliebten Panoramas. Statt dreigeschossiger Stadtvillen prägten 1902 fünfgeschossige Geschäftshäuser in geschlossener Bauweise das Stadtbild. Aus dieser Zeit stammte der monumentale Eckbau der Landwirtschaftlichen Feuerversicherungsgesellschafft zum Wiener Platz hin im Wiener Jugendstil. Im Kaiser-Café traf sich die vornehme Gesellschaft: vom Hofadel über Mitglieder des Hoftheaters bis zu Mitarbeitern der Technischen Hochschule.

Das frühe 20. Jahrhundert gestaltete das Erscheinungsbild der vornehmen Promeniermeile. 1911 öffneten die UT-Lichtspiele, 1912 das Residenzkaufhaus und 1916 das Prinzeßtheater, gleichfalls ein Kino. Bernhard Schäfer verkaufte seine Luxuswaren, Müller und Koch betrieben das größte deutsche Spielwarenhaus. In den Schaufenstern von »Delikatessen Lehmann und Leichsenring« türmten sich Bastkörbe mit lebendigen Tieren. Hingegen schockte der Kunstsalon Emil Richter die konservative Stadtgesellschaft 1907 mit einer Ausstellung der Künstlergruppe »Brücke«.

Das luxuriöse Kaffeehaus Rumpelmayer oder das gutbürgerliche Hülfert, ein Automatenrestaurant, wie auch das Tanzkabarett »Fransati« zogen Einwohner und Fremde in ihren Bann. Einen Vorgriff auf die vollständige Zerstörung lieferten Braunhemden und fanatisierte Bürger mit der Zerschlagung der Schaufenster jüdischer Geschäfte in der Reichsprogromnacht 1938. Der Feuersturm vom 13. bis zum 15. Februar 1945 ließ die alte Prager ein letztes Mal schaurig erleuchten.

 

Wiederaufbau nach der Zerstörung

 

In den 1950er Jahren rumpelte die Straßenbahn durch eine weitläufige Wiesenlandschaft, auf der sich bestenfalls Karnickel begegneten. Nur das teilzerstörte Hotel Excelsior lockte des Abends mit einer Bar in die Straße. Nach dem Vorbild der »Lijnbaan« in Dresdens Partnerstadt Rotterdam startete 1963 der Neuaufbau, der 2015 mit der Bebauung des »Wiener Lochs« abgeschlossen wurde. Was aber heißt schon »abgeschlossen«!?


Meistgelesen