Birgit Branczeisz

Carolabrücke: eine Brücke, zwei Geländer 

Dresden. Die Carolabrücke bekommt derzeit eine technische Sanierung - warum es keine Schönheitskur wird.

Dieses Detail dürfte bald zu Dresdens neuen Kuriositäten gehören: auf einer Seite ist das Geländer der Carolabrücke 97 Zentimetern hoch, auf der anderen 1,30 Meter. Das sogenannte Füllstab-Geländer aus DDR-Zeiten wurde mitten im Bau auf 1,30 Meter erhöht. "Ohne große Aufmerksamkeit zu erregen, wie bei der Augustusbrücke", erzählt Holger Kalbe lächelnd bei einem Brücken-Rundgang. Er ist Projektbetreuer der Stadt Dresden und muss es wissen.

Doch wie kam es dazu? Der Denkmalschutz kam dazwischen. Die Sanierungsarbeiten waren letztes Jahr gerade im Gange, da wurde die gesamte Carolabrücke unter Denkmalschutz gestellt. Also hat man anders weitergebaut. Was fertig war, war fertig. Durch die drei weit aufgefächerten Fahrbahnen wird dieses Detail jedoch kaum jemand bemerken.

Auffälliger ist da schon die gezahnte Betonkappe, die nun nach Unterschutzstellung plötzlich wiederhergestellt wird. 270 Kubikmeter Beton gehen in neue Kappen hinein, der finanzielle Aufwand ist nicht viel größer als für eine glatte Betonverblendung, versichert Tiefbauamtsleiterin Simone Prüfer. Ob die Brückenzüge noch einmal einander angeglichen werden? Sicher bei einer nächsten Sanierung, sagt Simone Prüfer.

Bis dahin bleibt die Carolabrücke einmal mehr was sie ist: ein Entwurf der Nachkriegsmoderne, der auf große Tangenten und den neuen sozialistischen Menschen setzte, der Raum brauchte, befreit war von vermeintlich bürgerlichem "Schnickschnack". Und doch ist er zu finden - stehen doch, wenn auch verloren am Rand wie ohne Zusammenhang, die beiden Großplastiken "Bewegte Elbe" und "Ruhige Elbe" von 1907 da, die einst die historische Carolabrücke zierten. Nur Interessierte wissen, dass es sich um Nereide und Triton handelt.

Auch heute belässt man es bei reinem Pragmatismus. Verschlussteile erneuern wie Kappen, Fahrbahn-Belag, Abdichtung. Nichts soll in den Spannbetonhohlgang einsickern, das Traggerüst am Ende noch beschädigen. Epoxidharz, Kratzspachtel, Schweißbahnen, Asphaltbeton - so lautet das Programm.

Die Brücke hat sich gut gehalten, die Kappen am Brückenrand werden nach 30 Jahren das erste Mal saniert. Ihnen gilt besonderes Augenmerk. Weil der Wind hier über der Elbe immer ein wenig heftiger weht, wurden die neuen Beton-Kappen extra gewässert und abgedeckt - sonst wäre der Beton bei der Hitze zu schnell getrocknet und das kann unbemerkt neue Risse mit sich bringen.

3,5 Millionen soll die technische Kur für die längste Spannbetonkonstruktion der DDR kosten. Auch wenn man sich schmucklos hält - von sich reden machen wird die Carolabrücke spätestens mit dem geplanten Verkehrsversuch. Die Stadt will ein sogenanntes "Reallabor" auf die Brücke bringen - soll heißen - auf Zug B wird dann der Radverkehr gesetzt. Eine flüssige Anbindung an die Neustadt - diesmal nicht fürs Auto wie 1978, sondern fürs Fahrrad.

Weil der Gleisabstand zum inneren Geländer für heutige Vorschriften zu gering ist, wird die Carolabrücke erstmals seit ihrem Bau auch verbreitert - der Gehweg wird einen knappen Meter "angesetzt". Fußgänger wird`s freuen.

Als Dresdner Bauwerk bleibt die Carolabrücke damit allerdings was sie war - ein flacher Bau, der den Ausblick von den Brühlschen Terrassen auf die gegenüberliegenden Elbhänge nicht verstellt. Es gibt aber keinerlei Versuch, zum Beispiel die historischen Plastiken anders an das einstige DDR-Bauwerk anzubinden, Geschichte sichtbarer zu machen.

Aus der Geschichte:

Die Carolabrücke ist nach Carola von Wasa (1833-1907) benannt, Gemahlin des sächsischen Königs Albert. Von 1971 bis 1991 trug die neue geschwungene Betonbrücke den Namen des ersten Dresdner Oberbürgermeisters von 1945: Dr. Rudolf Friedrichs. Der ehem. SPD- und spätere SED-Genosse Friedrichs stand als Ministerpräsident  1946 der sächsischen Landesregierung vor. Im Juni 1947 starb er bereits. 1991 wurde die Brücke nach Stadtratsbeschluss wieder in Carolabrücke umbenannt.

Als die Carolabrücke 1895 eröffnet wurde, war sie bereits die vierte Elbbrücke in der Stadt. Schon damals wurde besonders auf den Schiffsverkehr Rücksicht genommen. Um ihn möglichst wenig zu beeinträchtigen, bekam das 332 Meter lange Bauwerk im Strombereich nur zwei steinerne Pfeiler. Das gewährte eine Spannweite bis zu 61 Metern. Die Konstruktion wurde aus Stahlbögen mit Fachwerk errichtet. In der Planungsphase nach dem Krieg gab es verschiedene Varianten, eine davon mit einem sehr hohen Pylon (90 Meter) als Schrägseilbrücke, 1963 vom ehem. Chefarchitekten Dresdens Herbert Schneider entworfen.

Nach zähen Diskussionen entschied man sich jedoch für ein niedriges Bauwerk, die den freien Blick auf die berühmten Elbsilhouette nicht beeinträchtigen. Die beiden Plastiken der ursprünglichen Brücke Friedrich Offermanns aus dem Jahr 1907 tragen die Namen "Bewegte Elbe" und "Ruhige Elbe". Diese Zeugnisse der alten, überbordend geschmückten Brücke aus der Belle-Époque-Zeit - in der das Bürgertum, seine Lebensweise und Kultur, sein auf Wissenschaft und Technik gegründeter Fortschrittsglaube triumphierten - kontrastieren auf eine bizarre Weise mit dem spröden Erscheinen des neuen Bauwerks.

Literatur:

Barbara Schmucki: Der Traum vom Verkehrsfluß. Städtische Verkehrsplanung seit 1945 im deutsch-deutschen Vergleich (speziell München und Dresden), Frankfurt Main 2001


Meistgelesen