Tony Keil

Leben mit einer seltenen Krankheit

Krauschwitz. Die Krauschwitzerin Ellen Richter leidet an einer sehr seltenen Krankheit. Das eine prominente Leidensgenossin kürzlich an die Öffentlichkeit ging, gibt den Betroffenen Hoffnung.

Ellen Richter mit dem Ordner, in dem sie alle Unterlagen zu ihrer Erkrankung sammelt.

Ellen Richter mit dem Ordner, in dem sie alle Unterlagen zu ihrer Erkrankung sammelt.

Bild: T. Keil

Die ersten Probleme traten 2008 auf. Ellen Richter beschreibt es als einen plötzlichen, kurzen Ruck im Bein, der hin und wieder auftrat. Schmerzen verursachte das nicht. Die Krauschwitzerin dachte sich nichts weiter dabei, auch wenn das kurze Zucken in den kommenden zwei Jahren immer wieder auftrat. Im Sommer 2010 wurden die Symptome schlimmer und irgendwann so stark, dass sie in der Werbeagentur, in der sie arbeitete, Schaden verursachte, weil sie mehrmals stürzte. Das fiel auch dem Chef auf, der ihr riet, zum Arzt zu gehen.

 

Was folgte, war eine zweijährige Odyssee, ein Pendeln zwischen dem eigenen Haus und den Aufenthalten in verschiedenen Kliniken. An Abreiten oder irgendwelche Freizeitaktivitäten war da schon nicht mehr zu denken, zu heftig waren die Symptome, zu stark die Schmerzen. Egal ob Görlitz, Dresden, Cottbus oder Rothenburg – was genau Ellen Richter fehlt, konnte man in keiner Klinik feststellen. Mehr oder weniger direkt wurde ihr auch mehrmals von Ärztinnen und Ärzten unterstellt, dass sie sich die Beschwerden ausdenkt. „Ich habe immer wieder von Schmerzen an anderen Stellen im Körper erzählt, das konnten wohl einige Ärzte nicht glauben“, sagt die 55-Jährige.

 

Der übliche Verdacht: Alles psychosomatisch

 

Recht schnell folgte auch der Verdacht einer psychosomatischen Erkrankung. Aber auch zwei Aufenthalte in der Klinik für Psychosomatische Medizin in Görlitz brachte keine Besserung. „Die Schmerzen wurden währenddessen manchmal so schlimm, dass ich geschrien habe“, erzählt Ellen Richter. Dazu kamen auch immer wieder Stürze, weil die Muskeln beim Gehen plötzlich krampften. Die Folge waren Platzwunden und in schlimmeren Fällen auch Brüche etwa des Handgelenks und der Schulter. „Es gab Phasen, da musste ich auf allen Vieren durch die Wohnung kriechen, wenn ich auf Toilette wollte.“ Ihr Ehemann und ihrer Schwester, die ebenfalls in Krauschwitz wohnt, untertsützen sie zwar wo es geht, können aber nicht 24 Stunden am Tag für sie da sein.

 

Das 2012 dann endlich die richtige Diagnose gestellt wurde, ist einem Zufall zu verdanken. Nach anderthalb Jahren Krankschreibung musste die Krauschwitzerin Erwerbsminderungsrente beantragen, dazu zu einem Rentengutachter. „Als wir wieder zu Hause ankamen, sah ich, dass wir eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter haben“, erzählt Ellen Richter. Der Gutachter hatte angerufen, war zuvor mit einem Kollegen alle Symptome nochmal durchgegangen. Dabei war ihnen ein Verdacht gekommen: Stiff-Person-Syndrom. Von dieser Krankheit hatte sie noch nie gehört. „Als ich Stiff-Person-Syndrom gegoogelt habe, standen da plötzlich all die Symptome, von denen ich all den Ärzten seit zwei Jahren berichtet habe. Da habe ich Rotz und Wasser geheult.“

 

Sie machte sich auf die Suche nach einem Spezialisten, fand eine Klinik in Heidelberg, die seit Jahren an der Krankheit forscht. Auf den Termin dort musste Ellen Richter noch einige Monate warten, doch die Hoffnung war zurück. Auf einen ersten Besuch im Oktober folgte ein längerer Aufenthalt Ende 2012. Nach zwei Jahren stand endlich die Diagnose fest.

 

Das Ellen Richter jetzt mit ihrer Krankheit an die Öffentlichkeit geht, hat mit Celine Dion zu tun. Im Dezember ging die Nachricht um die Welt, dass die Sängerin am Stiff-Person-Syndrom leidet und ihre Konzerte absagen muss. Wenn bekannt wird, dass eine Prominente an einer schweren Krankheit leidet, dann freut man sich nicht darüber. Aber es kann Betroffenen Mut machen. So ging es auch Ellen Richter. Durch die Aufmerksamkeit in den Medien könnte jetzt Bewegung in die Forschung kommen, zumindest aber mach es das Syndrom bekannter. Denn die Krankheit ist extrem selten. „Ein Arzt hat sich im Nachgang sogar bei mir entschuldigt und zugegeben, dass er noch nie davon gehört hatte“, erzählt Ellen Richter. Sie kennt Betroffene, die sieben Jahre brauchten, ehe ein Arzt die richtige Diagnose stellte.

 

Schätzungsweise 300 Fälle in Deutschland

 

Die Zahl der Erkrankten wird in Deutschland auf etwa 300 geschätzt, zwei Drittel sind Frauen. Charakteristisch für die Autoimmunerkrankung ist eine zunehmende Erhöhung der Muskelspannung. Zusätzlich treten Krämpfe auf. Betroffen sind meist die Rücken- und Hüftmuskulatur. Was der Krauschwizterin im Umgang mit ihrer Erkrankung hilft, ist eine Facebook-Gruppe. „Zuerst war ich nur in einer englischsprachigen Gruppe. Inzwischen gibt es aber auch eine deutschsprachige“, sagt sie. Dort kann man sich austauschen, sich gegenseitig Tipps geben und findet immer Verständnis.

 

Natürlich war auch Celine Dion Thema. Nach dem großen Medienecho im Dezember ist es aber recht schnell wieder still geworden. Deswegen entschied man sich, selbst in die Offensive und an die Öffentlichkeit zu gehen. Das Ziel ist klar: Aufklären und die Krankheit bekannter machen. Die Hoffnung ist natürlich, dass sich in Sachen Forschung und Therapie etwas bewegt. Denn bisher ist die Krankheit nicht heilbar. „Es wäre auch wichtig, dass die Krankheit Teil der Ausbildung von Neurologen wird“, sagt Ellen Richter. Dann würde sie schneller erkannt und Betroffene müssten nicht von Klinik zu Klinik pilgern und die immer gleichen Untersuchungen über sich ergehen lassen. „Ich möchte mich da auch nochmal ganz herzlich beim Universitätsklinikum Heidelberg und speziell bei Professor Meinck bedanken“, so Richter. Letzterer hat sie auch nach ihrem Klinikaufenthalt immer wieder unterstützt, beispielsweise beim Widerspruch, nachdem ihr Antrag auf Erwerbsunfähigkeitsrente trotz Diagnose zunächst abgelehnt wurde.

 

Ein Schritt nach vorne wäre es aber auch schon, wenn Betroffene einfach sagen könnten „Ich habe das Stiff-Person-Syndrom“ und viele andere Menschen ohne lange Erklärungen wüssten, worum es sich dabei handelt. Aktuell geht es noch schneller, „Ich habe das, was Celine Dion hat“, zu sagen. Und natürlich will man auch anderen Betroffenen Mut machen, in dem man von der eigenen Geschichte berichtet.


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