Weinböhla sucht einen Gänse-Paten
Irgendetwas fehlt: ein kurzes Quak, ein Flügelschlag, das lustige Watscheln und das Schmunzeln der Weinböhlaer, die vorbeigehen. Der beschauliche Ort vermisst seine beiden Höckergänse „Dieter“ und „Auguste“. Die spazieren seit Jahr und Tag um den Dorfteich herum, gehören in wechselnden Generationen einfach zum Stadtbild. Nur zum Weinfest, zu Weihnachten und Silvester werden sie im heimischen Stall verwahrt. Nein, es war nicht der Fuchs und auch kein Auto - Gänsevater Hartmut Schlechte selbst hat seine beiden Höckergänse zurück nach Hause in den Garten geholt. Dort watscheln sie derzeit mit Ente und Co im Gehege und hüten ihr süßes Geheimnis - einen Nachzügler.
Doch die Elternschaft ist nicht der Grund für die Stille am Dorfteich. Um die beiden drolligen Gesellen ist eine heftige Diskussion entbrannt. Dem einen sind sie immaterielles Kulturgut, gar das Wahrzeichen von Weinböhla – den anderen kitschige Sozialromantik mit ekligen Hinterlassenschaften. Denn genau um die geht es. Die Gänse kacken nun mal. Und „Dieter“ und „Auguste“ unternehmen gern längere Spaziergänge in den Ort. Die führen sie bis vors Reisebüro, besonders wenn es draußen duster wird, fühlen sich „Dieter“ und „Auguste“ magisch vom Bildschirm im Schaufenster angezogen. Dann ist Fernsehzeit wie bei vielen Weinböhlaern. Unsere beide schauen Reiseberichte aus fernen Ländern – dafür lohnt es sich schon mal den Dorfteich zu verlassen.
Auch die Schaufenster des Sanitätshauses haben es den beiden angetan – das ist ein Ritual des tags. Denn hier spiegeln sich die beiden gern im Schaufensterglas und hinterlassen dabei dann auch das ein oder andere davor. „Alles niedlich und schön, aber mit einem Problem behaftet“, konstatiert Weinböhlas Bürgermeister Siegfried Zenker seufzend und das ist wörtlich gemeint. Zwar hat der Bauhof einmal in der Woche den Gänsen hinterhergeputzt, manchmal auch zweimal – aber wie es so ist: Nach über 20 Jahren geht nun nicht mehr, was immer ging.
Vor allem der ortsansässige Mediziner beklagte die hygienisch bedenklichen Andenken. Es gab Beschwerden und seit Wochen genauso unzählige Anfragen, warum denn die Gänse weg sind. Gänsevater Hartmut Schlechte zuckt mit den Schultern. „Ich kann den Gänsen keinen Sack hinten dranhängen“, sagt er. Früher hat das keinen gestört. Besonders ein Bild ist ihm in Erinnerung: Leute, die im Regen um die Bushaltestelle herum stehen, während die Gänse drinnen im Trockenen hocken - und die Leute lachen. Die Zeiten sind wohl vorbei und guter Rat ist teuer.
Bis in den Gemeinderat haben es die Gänse inzwischen geschafft und demnächst sind sie sogar im Amtsblatt. Sie sind ein wichtiges kommunalpolitisches Thema, ein Zankapfel. Man hat sich auf einen neuerlichen Versuch geeinigt und sucht einen Gänse-Paten oder eine Gänse-Patin. Wenn sich jemand bereiterklärt, die Hinterlassenschaften regelmäßig zu entfernen, dann könnten die Gänse im Frühjahr wieder an den Dorfteich zurückkehren, sagt der Bürgermeister. Und wer weiß, vielleicht sind die Nachfolger von „Dieter“ und „Auguste“ weniger reiselustig. Zu lange vorm Bildschirm hocken, bringt eben nur Probleme, Eitelkeit offenbar auch.