bb/rob

In den nächsten Jahren gehen so viele Richter wie nie zuvor in Pension

Dresden. Der Gerichtsalltag in Sachsen wird immer differenzierter und das bei einer Ruhestandswelle wie sie Sachsen bisher nie erlebt hat.

Richterin am Oberlandesgericht Meike Schaaf (li.) übernimmt ab dem 1. Mai als Pressesprecherin die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Oberlandesgerichts Dresden. Sie folgt in dieser Funktion Gesine Tews (re.) nach, die zur Direktorin des Amtsgerichts Bautzen ernannt worden ist. OLG-Präsident Leon Ross (Mitte) stellte die Personalie jetzt vor.

Richterin am Oberlandesgericht Meike Schaaf (li.) übernimmt ab dem 1. Mai als Pressesprecherin die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Oberlandesgerichts Dresden. Sie folgt in dieser Funktion Gesine Tews (re.) nach, die zur Direktorin des Amtsgerichts Bautzen ernannt worden ist. OLG-Präsident Leon Ross (Mitte) stellte die Personalie jetzt vor.

Bild: B. Branczeisz

In den nächsten acht bis zehn Jahren gehen 60 Prozent der Richter in Sachsen in den Ruhestand, bis zu 80 Richter in einem Jahr. Das konzentriert sich vor allem auf die Land- und Amtsgerichte. "Der Einstellungswelle nach der Wende, folgt nun die Ruhestandswelle", so Leon Ross, Präsident des Oberlandesgerichts Dresden auf der Jahrespressekonferenz für das zurückliegende Jahr 2021. Die Universitäten kämen mit der Ausbildung nicht nach, zumal die Abgangswelle bei ohnehin angespannter Lage erfolge. Die Gerichte berufen inzwischen deutlich mehr Probe-Richter (41) und Rechtsreferendare (600) in Sachsen. Neu: In Bautzen werden ab Mai Referendare ausgebildet, um die Gerichte in der Lausitz zu verstärken. Hochgefahren wird auch die Ausbildung für Bedienstete der Geschäftsstellen, Sozialarbeiter u.v.m. die zum Justizdienst gehören. Nach Prozesswellen im Bereich Asyl für die Verwaltungsgerichte und Hartz IV für die Sozialgerichte, erwartet Leon Ross je nach gesellschaftlicher Entwicklung künftig auch weitere neue Schwerpunkte für die Gerichte. Für 2021 waren das "überraschend", so Ross, Diesel-Abgasverfahren, die 43 Prozent über 1.100 der Zivilprozesse ausgemacht haben. Hintergrund ist die massive Werbung von Kanzleien, die sich auf dieses Thema spezialisiert haben und die mit Slogans wie "Neue Rechtsprechung - Schadensersatzgarantie" um neue Mandanten buhlen. Inzwischen könne man nicht mehr von VW-Verfahren sprechen - betroffen sind nahezu alle Marken. In Sachsen ist die Justiz bereits dazu übergegangen, Rechtspfleger in die Verfahrensabwicklung einzubeziehen, die sehr aufwendig ist.

 

Bestandteile für ABC-und Kernwaffen verkauft?

 

Weniger angekommen sind an den Gerichten dafür Fluggast-Entschädigungsprozesse, mit denen man gerechnet hatte. Dafür gab es unerwartet doppelt so viele Verfahren um Verbraucherinsolvenzen. Hintergrund sind aber nicht mehr private Pleiten, sondern eine Gesetzesänderung, die es seit Oktober 2020 ermöglicht, bereits nach drei Jahren von der Restschuld befreit zu werden. Viele Betroffene haben daraufhin ihre Anträge bis 2021 zurückgehalten. Strafsachen waren dagegen sogar leicht rückgängig - die Herausforderungen für Großprozesse sind allerdings enorm gestiegen. Schlagworte wie die Prozesse gegen die rechtsextreme Gruppe Freital, den kriminellen Remmo-Clan oder der aktuelle Prozess gegen die Linksextreme Lina E. hat jeder zumindest schon gehört. Bis 2016 gab es übrigens kein einziges Staatsschutz-Verfahren - inzwischen sind 19 anhängig geworden. Demnächst verhandelt die Justiz gegen einen Leipziger Kaufmann, der gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz verstoßen haben soll. Ihm wird zur Last gelegt, an Tarnunternehmen des russischen Geheimdienstes Teile für ABC-Waffen verkauft zu haben. Außerdem sollen Forschungsinstitute Bestandteile erhalten haben, die für Kernwaffen geeignet sind.

 

Neuer Hochsicherheitssaal für 30 bis 40 Millionen an der JVA

 

Solche Mammutprozesse bedürfen eines Hochsicherheitssaals, soll der Gerichtsbetrieb rundherum oder sogar der Innenstadtverkehr durch Absperrungen erheblich beeinträchtigt werden. Hinter Großprozessen steckt auch eine Großlogistik. Dafür wird es jetzt einen Neubau für geschätzt 30 bis 40 Millionen Euro am Dresdner Hammerweg, direkt an der JVA geben. Das Baufeld ist bereits beräumt, die Planungen sind abgeschlossen, so OLG-Präsident Leon Ross. Vorgesehen sind drei Verhandlungssäle, wobei sich zwei zu einem Mega-Saal öffnen lassen. Rundherum Arbeitszimmer für Verteidiger, Richter und Presse, Vorbereitungs- und Sicherheitsstruktur sowie Kantine. Angedacht ist eine Bauzeit von drei Jahren. Wann der Bau wirklich steht, bleibt heutzutage offen. Notwendig sei der Hochsicherheitssaal unbedingt, das hätten auch die Erfahrungen aus den Rocker-Prozessen in Leipzig gezeigt, wo Hundertschaften der Polizei jedes Mal in die Innenstadt einrückten, wenn verhandelt wurde. Auch deshalb ist die Stadtrand-Lage klug, so Ross. Die unmittelbare Nachbarschaft der JVA erspart viele Transporte und Sperrungen, weil die Angeklagten direkt von der JVA in den Verhandlungssaal gebracht werden können.

 

Sachverständige immer häufiger per Video zugeschaltet

 

Nicht immer wird an Sachsens Gericht noch mit solcher Kulisse verhandelt. Corona hat auch der Justiz einen Digitalsprung beschert. Online-Verhandlungen, eigentlich früher schon möglich wie Leon Ross betont, wurden in Corona Zeiten regelrecht entdeckt. Viele Richter wollen Zeugen zwar nach wie vor lieber in die Augen sehen - bei Erläuterungen von Sachgutachten oder Zuschalten von auswärtigen Anwälten hat sich die Videoschaltung allerdings hervorragend bewährt. Leon Ross ist überzeugt, das Videoformat wird seinen Platz bei Gericht einnehmen - auch wenn es für bestimmte Prozesse, zum Beispiel am Familiengericht, nicht geeignet ist. Soweit die Außenperspektive. Nach innen hat die E-Akte bei fast allen Gerichten komplett Einzug gehalten. "Und das ist nicht nur eine eingescannte Akte, die alle lesen können", erklärt der OLG-Präsident schmunzelnd. Die E-Akte bildet jeden einzelnen Prozess-Schritt ab vom Ermittler bis zum Staatsanwalt, sie muss bearbeitbar, aber eben auch vor unberechtigtem Zugriff sicher sein. Ross dankte dafür ausdrücklich den Mitarbeiten in den Geschäftsstellen, denn die haben derzeit noch erheblichen Mehraufwand damit.


Meistgelesen