Birgit Branczeisz

Dresdner Hochbeet erobert Wien

Dresden. Dass Gärtnern glücklich macht, ist bekannt. Doch diese Dresdnerin will noch mehr erreichen – sie will heilen.
Sylvi Schiller und Jan Beyer haben das Hochbeet neu definiert.

Sylvi Schiller und Jan Beyer haben das Hochbeet neu definiert.

Bild: Branczeisz

Sylvi Schiller erntet gerade Radieschen. Ihr Indoor-Hochbeet ist aber weit mehr als persönliches Gärtnerglück. Die 38-jährige Dresdnerin ist Akademische Expertin der Gartentherapie. Studiert hat sie an der Universität für Weiterbildung in Krems – sie ist registrierte Gartentherapeutin der Internationalen Gesellschaft Garten Therapie (IGGT). So lautet die offizielle Berufsbezeichnung. Was beim ersten Hören etwas verkopft klingt, geht in Wahrheit durch Hand und Herz. Denn die Dresdnerin will Menschen ins Leben zurück helfen.

Ob nach einem Schlaganfall, Burnout oder mit einer Behinderung – Gärtnern macht nicht nur glücklich, sondern hilft auch beim Greifen, Schauen, Verstehen, übt Abläufe und Verantwortung. Insofern ist Gärtnern wohl mit Tiertherapie vergleichbar. Doch während Hund und Co. problemlos mit in die Wohnung können, ist das mit einem Gartenbeet so eine Sache. Erst recht, wenn der Patient im Rollstuhl sitzt. Dann nützt nicht einmal ein übliches Hochbeet etwas, denn jeder Mensch ist unterschiedlich groß und dann gibt es auch noch verschiedene Rollstühle.

Das dachte sich auch Sylvi Schiller, die beruflich aus der Behindertenhilfe kommt und deren Mann, Jan Beyer, die Tischlerei Artefact in Dresden-Uebigau betreibt. Beides zusammengedacht brachte die junge Frau auf die Idee, das Hochbeet als höhenverstellbaren Tisch zu konzipieren, das sich an jeden anpasst. Das Ganze natürlich fürs Wohnzimmer. Regenwürmern beim Spaziergang zusehen Herausgekommen ist ein Tisch, der ein bisschen wie ein Buffetwagen aussieht, mit Edelstahlwanne und einem Lochblech, das überflüssiges Gießwasser zum Ablassen durchlässt.

Die Brücke mit der Wachstumslampe über dem Beet fungiert gleichzeitig als Haltegriff. Sichtfenster an der Seite geben den Blick frei auf Wurzeln und Regenwürmer. Letztere lassen sich über eine Wurmvase richtig füttern. Was für Kinder ein echter Hingucker ist, spielt im Beet eine wichtige ökologische Rolle. Alles findet seinen Platz: vom Australischen Zitronenblatt über Rucola bis hin zu Radieschen oder gelber Möhre. Jede Pflanze sollte sich hier besonders anfühlen, riechen oder aussehen.

Dann ist es eigentlich egal, ob das Hochbeet im Großraumbüro, in der Rehaklinik, in Schulen oder in Altenheimen steht – der Wow-Effekt ist der Gleiche. Vorgestellt auf der Internationalen Messe RehaCare 2023 in Düsseldorf geht das höhenverstellbare Dresdner Hochbeet am 24. Mai zum Fachtag für Gartentherapie nach Wien. »Andere Länder sind mit dem Thema Gartentherapie etwas weiter als wir«, sagt Sylvi Schiller.

Die IKK Classic und das Institut Leistung-Arbeit-Gesundheit haben jetzt aber genau dazu eine Studie veröffentlicht, die Gartentherapie als Präventionsmaßnahme in Seniorenheimen ermöglicht. Dort geht es ums Gärtnern bei Demenz – eine Tätigkeit, die Menschen mehr im Hier und Jetzt hält und nachweislich fröhlicher macht. Vorerst dürfen sich die älteren Herrschaften in der K& S-Seniorenresidenz der Dresdner Neustadt aufs Gärtnern am mobilen Hochbeet mit Sylvie Schiller freuen, denn ihr Heim nimmt an dem Pilotprojekt teil. Und vielleicht macht das bald Schule.

Mehr Infos: www.multifunktionales-hochbeet.de


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